Ich bin Experte, lassen sie mich durch

Andreas Samtleben

Sicherlich kennen Sie einen ähnlichen Satz aus Filmen oder Serien. Dort drängelt sich eine Person durch die schaulustige Menge, am Boden knien mit mehr oder weniger verzweifelten Gesichtern Protagonisten, die versuchen dem dort liegenden Menschen zu helfen. Dann hören alle diesen erlösenden Satz „Ich bin Arzt, lassen sie mich durch“. Oh ja, endlich jemand, der weiß, was er tut. Endlich können alle anderen die Verantwortung abgeben, abgeben an diese Person, die sich als Experte geoutet hat. Ob der am Boden liegende Mensch dann trotzdem stirbt, ist schon fast nebensächlich. Wenn selbst der Experte ihn nicht mehr retten konnte, na dann.

Wir sind umgeben von Sachkundigen jeglichen Geschlechts, ja werden gerade zu erdrückt von ihnen. Ob im Fernsehen, im Radio oder den Zeitungen. Auch die sozialen Medien sind voll von Fachfrauen und Fachmännern. Bei Fußballspielen schauen eh nur Trainer zu und Corona hat Millionen neue Virologen hervorgebracht. Ich frage mich, was steckt dahinter.

Auch ohne Experte zu sein, mutmaße ich einmal, irgendetwas kann da nicht stimmen. Warum meint jede und jeder eine (Experten-) Meinung dazu haben zu können? Einfach eine Überschätzung, kann man doch heute im Internet alles finden und sich sein (Fach-) Wissen zusammengooglen oder eher fehlendes Vertrauen in die Expertisen der Experten?

Bei Wikipedia steht dazu: „Experte oder Expertin ist eine Person, die über überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem Fachgebiet oder mehreren bestimmten Sacherschließungen oder über spezielle Fähigkeiten verfügt. Neben dem theoretischen Wissen kann dessen kompetente Anwendung, also praktisches Handlungswissen, für einen Experten kennzeichnend sein. Experten sind auf der Grundlage fachlichen Wissens und Könnens imstande, „Aufgaben und Probleme zielorientiert, sachgerecht, methodengeleitet und selbständig zu lösen und das Ergebnis zu beurteilen“. Schlüsselbegriffe der Fachkompetenz sind danach Zielorientierung, Sachgerechtheit (Gegenstandsbezogenheit), Methodenkompetenz, Selbständigkeit und die Fähigkeit zu situationsgerechter Anwendung und Ergebnisbeurteilung.“
Wow, ich bin beeindruckt!

Verspieltes Vertrauen?

Nehmen wir nun einmal unsere sogenannte oberste Währungshüterin, die EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Sie ist eine ausgewiesene Expertin in Sachen Finanzen und warb am 26.11.2021 in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ um das Vertrauen der Bürger und wolle ihnen „die Furcht vor einer dauerhaft hohen Inflation nehmen“. Der FAZ erklärte sie weiter „wir erwarten aber, dass dieser Anstieg der Inflation nicht von Dauer sein wird. Im nächsten Jahr wird sich das wieder beruhigen. Schon von Januar an erwarten wir, dass die Inflationsraten beginnen zu sinken.“
Zum Zeitpunkt des Interviews lag die Inflationsrate in Deutschland um 6 Prozent. Fünf Monate später, im April 2022, liegt sie laut Statistisches Bundesamt bei 7,4 Prozent und „…erreicht damit im zweiten Monat in Folgen einen neuen Hochstand im vereinigten Deutschland“, so Dr. Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamtes. In Deutschland! In einigen anderen Euroländern ist sie bereits zweistellig. Malte Fischer spricht in seinem Kommentar vom 07.04.2022 in der „WirtschaftsWoche“ davon, dass der „Euro zur Lira des 21. Jahrhunderts“ werden könnte. Dem Verbraucher seine Geldbörse ist das schon aufgefallen, dazu braucht es einfach nur einen Einkauf um die Ecke.

Die Gripppemacher

Als unsere Gefühlswelt hinter einer Maske verschwand, weil diese so sicher sei, gab es dazu keine einheitlichen Einschätzungen der Experten in Bezug auf die Auswirkungen unseres Immunsystems. Eltern von Kindergartenkindern erleben die Kindergartenzeit oft als Zeit der laufenden Nasen. War ein Infekt überstanden, stand der nächste bereits schon an. In Zeiten von mehr Händewaschen, Abstand halten und Maskenpflicht, gab es nachweisbar weniger Erkältungen. Am Anfang reichte eine einfache Stoffmaske als Schutz aus, so die Expertenmeinung, dann kam die OP-Maske und bis vor kurzem rannten wir alle mit FFP-2-Masken herum.

In einer am 09. November 2020 veröffentlichten Studie von Rachel E. Baker et al. prognostizierten die Wissenschaftler einen Anstieg von RSV und Influenza Atemwegserkrankungen für den Winter 2021-2022. Als Grund gaben sie die Hygiene- und Abstandsregeln an. Die Studie von Baker hätte den Schwachpunkt, dass die „Dynamit von Viren nicht modellierbar“ sei, urteilte die Virologen Gülsah Gabriel vom Leibnitz-Institut für Virologie (vormals Heinrich-Pette-Institut) in Hamburg auf dem Portal inFranken.de am 06.04.2021 damals.

Doch tatsächlich treten jetzt Atemwegserkrankungen und vermehrt Erkrankungen an Influenza in Deutschland auf.
So berichtete News4Teachers am 09. Mai 2022 von 150 Kindern und Lehrern die mutmaßlich an Grippe erkrankt seien.
Bei Säuglingen und Kinder finden seit letztem Winter vermehrt schwere Infektionen mit Respiratorischen Synzytialviren (RSV) statt.

Hatte Baker mit seiner Einschätzung einfach nur Glück gehabt oder war das Können? Wenn die Dynamik von Viren nicht modellierbar sein soll, warum wurden dann während der Covid-Pandemie ständig Modellrechnungen als Beweis für die Maßnahmen herangezogen, um die Bundesbürger immer weiter in ihren Freiheiten zu beschränken?
Wenn bekannt war, dass Kinder keine Gefahr für die Verbreitung von Covid darstellten, warum hätte man ihnen dann nicht die Maskenpflicht nehmen können?

Hier zeigt sich ein weiteres Problem der Expertenschwemme. Welche Studie setzt sich durch und findet wie und aus welcher Intention heraus Beachtung? Und werden die richtigen Schlüsse und letztendlich die richtigen Maßnahmen aus solchen Untersuchungen hergeleitet?

Können wir nun den Experten vertrauen? In Teilen bleibt uns wohl nicht viel anderes übrig. Doch sollten wir auf keinen Fall unser Alltagswissen, unser Bauchgefühl und unseren Verstand einfach so abgeben, wenn es heißt:

„Lassen sie mich durch…!“

Grafik: manfredsteger auf pixabay